Quantcast
Channel: deskriptiv - analytisch - auf den Punkt » MarktWirtschaft
Viewing all articles
Browse latest Browse all 12

Anatomie eines Umfrage-Desasters (II): Breite Zustimmung für den Rundfunkbeitrag!

$
0
0

Über eine besonders spannende Studie bin ich heute früh über den Link eines befreundeten TV-Moderators gestolpert. Demnach hat die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) im Auftrag der ARD ermittelt, dass der neue Rundfunkbeitrag “breite Zustimmung” bei den Deutschen fände. Das fand ich zwar angesichts der erregt geführten Debatte diverser Medien und anderslautender früherer Umfragen ungewöhnlich, aber nun gut. Ein interessierter Blick auf die konkrete Fragestellung legt dann aber anschaulich dar, wie die gut geölte Maschinerie aus Public-Relations-Beauftragten und Meinungsforschern läuft.

Vorab ein kleiner Blick in den Werkzeugkoffer von Pressestellen von Unternehmen, Verbänden, Parteien und Politikern: Zunächst muss man zwischen zwei Situationen unterscheiden: Der Normalzustand, in dem wenig los ist, man nicht im Rampenlicht steht, aber eigentlich gerne häufiger in der Presse genannt würde. Und vor allem in Ruhe seine eigenen PR-Ziele verfolgen kann. Zum Beispiel, als besonders sozial, innovativ oder leistungsfähig dazustehen.

Und es gibt den Action-Zustand. Da steht man als Unternehmen oder Verband im Rampenlicht, obwohl man es lieber nicht wäre, etwa, weil es Streiks gibt für höhere Löhne, weil man in einen Skandal verwickelt ist, weil man unpopuläre Entscheidungen getroffen hat.

In beiden Zuständen sind Umfragen ein machtvolles Instrument, die eigenen Interessen zu verfolgen und vor allem die öffentliche Meinung zu steuern. Wer etwa unter zu wenig Aufmerksamkeit der Medien leidet, kann sich eine clevere Frage ausdenken, deren Beantwortung mittels einer “repräsentativen Befragung”  die Öffentlichkeit mutmaßlich interessiert – und landet damit in der Presse. Etwa, dass 64 Prozent der 45- bis 59jährigen besonders feierfreudig sind und an Silvester erst zwischen 2 und 3 Uhr ins Bett gehen oder was die Lieblingsprinzessinen der Deutschen sind.

Die fortgeschrittene Stufe ist, strategische Ziele zu verfolgen: Wer Angst hat, dass das eigene Oligopol in der Wasserversorgung wackelt, lässt mal flugs die Leute befragen, ob sie denn dafür oder dagegen sind, dass “Brüssel neue Vorschriften für die Organisation der Wasserversorgung” einführen soll und trompetet begeistert heraus, dass 82 Prozent dagegen sind (ich gebe zu: Diese suggestive Formulierung ist einfach spitze: Sind Sie dafür, dass Brüssel neue Vorschriften einführen soll? Brüssel. Neue Vorschriften.)

Die Expertenstufe ist dann, in einer laufenden Debatte, im Action-Modus, den Versuch zu unternehmen, die öffentliche Meinung zu steuern.

In allen genannten Fällen sind Umfragen einfach genial. Denn sie sind schnell gestellt. Vom Auftrag bis Auswertung müssen keine 24 Stunden vergehen. Sie können an die täglich laufenden Umfragen angekoppelt werden von den großen Instituten. Und sie sind vor allem unglaublich günstig: Eine Befragung von 1.000 Deutschen, deren Ergebnis Sie das Siegel “repräsentativ” verpassen können, kostet bei einer ja/nein-Frage schlappe 720 Euro und bei einer offenen Frage 1.150 Euro.

Sie können verhandeln oder sich beraten lassen, wie die Frage gestellt wird. Und vor allem: Sie veröffentlichen das Ergebnis natürlich nur, wenn es Ihnen als Auftraggeber (Unternehmen, Verband) passt. Sonst bleibt es einfach in der Schublade. Oder wird anders formuliert und nochmal in Auftrag gegeben. Sie haben quasi für einen vierstelligen Euro-Betrag die einseitige Option auf Steuerung der öffentlichen Meinung oder wenigstens zitiert zu werden mit Quellenangabe.

Die Gebühreneinzugszentrale …Verzeihung, der Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio, wie die GEZ heißt, ist derzeit jedenfalls im Actionmodus. Man könnte auch sagen: Ist Ziel eines veritablen Shitstorms, weil doch manche Unternehmen, Privatpersonen, Medien mit der Idee der neuen Pauschale – manche schimpfen: Zwangsabgabe – nicht ganz einverstanden sind.

Was veröffentlicht man da? Natürlich: Eine Umfrage. In dem Fall fragt die Nürnberger GFK im Auftrag der ARD. Das Ergebnis ist aber offenbar zur Zufriedenheit der Ex-GEZ ausgefallen. Denn, so war gestern bei T-Online zu lesen mit Quellenverweis DPA:

GEZ-Beitrag findet breite Zustimmung bei den Deutschen

Auch die “Welt” zitiert aus der Studie (“ Laut einer Umfrage der ARD, die der dpa vorliegt, ist die klare Mehrheit der Deutschen für den neuen Rundfunkbeitrag”). Das hat mich dann doch neugierig gemacht. Und tatsächlich, wer nicht nur eilig liest, dass die Deutschen der neuen Zwangsabg… äh, der Wohnungspauschale breit zustimmen, sondern auch, was da gefragt wurde, erfährt erstaunliches. Nämlich, wie die breite Zustimmung ausgelotet wurde. Gefragt wurde nämlich offenbar (wenn hier kein redaktioneller Fehler vorliegt, weder bei GEZ noch GFK habe ich die Studie gefunden) folgendes:

“Befürworten Sie die Veränderung des neuen Modells oder lehnen Sie diese ab?”

Ich muss da erst mal drei Sekunden drüber nachdenken.  Befürworte ich die Veränderung des neuen Modells? Hm. Käme ja auf die Art der Veränderung an. Weniger Geld? Mehr Geld? Komplettes zurückdrehen?

Jedenfalls: 76 Prozent der Befragten begrüßten die Beitragsreform. Diese Angabe leitet sich direkt aus der Frage ab, denn es heißt bei T-Online:  “Auf die Frage “Befürworten Sie die Veränderung des neuen Modells oder lehnen Sie diese ab?” antworteten im Dezember 76,3 Prozent der Befragten, dass sie die Beitragsreform begrüßen.”

Das heißt also: Die Antwort auf die Frage, ob die Menschen die neue Zwangsabgabe / Wohungspauschale / GEZ-Reform gut finden oder nicht wurde nicht ermittelt, in dem sie gefragt wurden, ob sie  die neue Zwangsabgabe / Wohnungspauschale / GEZ-Reform (je nach Wording erhalten Sie die gewünschten Ergebnisse) gut oder schlecht finden. Oder ob sie die alte Erhebungsform besser fanden oder nicht oder welche sie besser finden. Sie wurde ermittelt, indem man Menschen gefragt hat, ob sie die Veränderung des neuen Modells befürworten.

Ich finde diese Fragestellung nicht nur krude. Ich finde sie auch missverständlich, ja frech, denn ich kann mit der Beantwortung machen, was ich will. Denn die Befürwortung der Veränderung des neuen Modells kann heißen, dass ich befürworte, dass das neue Modell verändert wird. Die Befürwortung kann aber auch heißen, dass ich befürworte, was die Veränderungen des neuen Modells mit sich gebracht haben.

Der innere Bezug von “Veränderung” und “neues Modell” bleibt in der Formulierung vollkommen unklar. Zumindest dann, wenn ich nicht in irgend einer Form schon in der Anmoderation der Frage auf die Spur gesetzt wurde.

Intuitiv lese ich es übrigens so, dass “Befürworten Sie die Veränderung des neuen Modells” hier so gemeint ist, dass eine Ablehnung der Veränderung als Zustimmung zur Reform interpretiert wurde. Aber das sieht vermutlich jeder anders.

Komischerweise ist das Institut TNS in einer “repräsentativen Umfrage” Mitte Dezember zu ganz anderen Schlüssen gekommen. Da hat der “Spiegel” die Umfrage in Auftrag gegeben, und, komisch, da lehnte die breite Mehrheit das Konzept ab, nämlich 60 Prozent.  Leider finde ich ad hoc nichts näheres zur genauen Fragestellung.

Glaubt man aber der GfK, hat sich, trotz der erregten Kampagne vieler Medien und Unternehmen, nicht viel verändert. Denn die “breite Zustimmung für die Beitragsreform” wurde so laut Quelle T-Online auch schon im Mai, Oktober und November gemessen mit Werten zwischen 75,8 und 76,3 Prozent. Was ich besonders amüsant finde, denn gefühlt ist diese Reform erst seit bestenfalls ein bis zwei Monaten auf dem Radar des “Durchschnittsbürgers”, ohne, dass es auf die Stimmungslage einen Einfluss gehabt hätte. Aber im letzten Mai soll die Zustimmung bereits sehr breit gewesen sein, künftig eine Zwangsabg… äh, Wohnungspauschale zu erheben, bevor überhaupt die Leute richtig wussten, warum es geht? Und zwar fast exakt so breit wie jetzt? Irre.

Immerhin besteht hier eine gewisse Restchance, dass die Studie selbst anders gefragt hat und nur in der Redaktion von dpa oder T-Online das Ergebnis und die Fragen völlig falsch wiedergegeben und interpretiert wurden.

Jedenfalls: Die Seite hier heißt ja Wirtschaftswunder, das ist definitiv auch ein kleines Umfragewunder!

Disclaimer: Ich habe zur GEZ-Reform keine dezidierte Meinung, zahle aber bereitwillig Gebühren, egal wie sie heißen, da ich mit dem Angebot der öffentlich-rechtlichen Sender sehr zufrieden bin.

Disclaimer II: Ich weiß, Versprechen gebrochen, nicht mehr über Demoskopie zu schreiben. Jetzt ist wirklich Schluss.



Viewing all articles
Browse latest Browse all 12

Latest Images

Trending Articles





Latest Images